Freitag, 14. September 2007

Ein verwirklichter Traum scheitert!

Nach Jahren der Arbeit wird eine erfolgreiche Institution geschlossen.

Einerseits zu meiner persönliche Aufarbeitung, andererseits das Aufzeigen einer Idee willen; aber auch als Ode an eine Time-Out Institution, möchte ich hier meine Erfahrungen mit der während sechs Jahren im nahen Ausland betriebenen Krisenstation, niederschreiben. Die bewährte Krisenintervention für Jugendliche in schwierigen Lebenslagen im idyllischen, ländlichen St. Bresson, musste leider 2003 aufgegeben werden.

Mit meiner über 10-jährigen Erfahrung als Heimleiter stellte ich mit meinem Team fest, dass Krisen (Sucht, Gewalt, Delinquenz, Schul- oder Lehrverlust) der uns Anvertrauten, nicht mit einem Abbruch oder mit einer Umplatzierung zu begegnen ist, sondern dass über intensive Begleitung unsererseits, Krisen mit eigenen Ressourcen bewältigt werden. So gewinnen unsere Klienten neuen, fruchtbaren Boden unter den Füssen. Als beste Bedingung für einen Neustart im gewohnten Umfeld.

Wir suchten demnach ein geeignetes Haus mit Umschwung zum Kauf, welches wir glücklicherweise in Saint-Bresson, 120 km von Basel entfernt, fanden.
Durch den Landes- und Sprachwechsel, Distanz zum gewohnten Alltag, sowie durch die geografische Abgeschiedenheit wurden die dort platzierten ,maximal vier, Jugendlichen vor äusseren, ungünstigen Einflüssen bewahrt. Das „auf sich zurückgeworfen werden“ forderte von jedem und jeder, sich konkret mir den eigenen Schwächen auseinander zu setzen und vorhandene Stärken neu zu entdecken und auszubauen.
Diese Form von Intervention verstnad sich niemals als Strafe – vielmehr ein Puffer. Ein Puffer vor einem überforderndem Alltag und Krise. Ein „Time Out“ aus festgefahrenen Verhaltensmustern.
Ein geregelter Tagesablauf mit Arbeit (Rennovation, Hausdienst, Tiere und Garten), sowie schulischer Nachhilfe und sportliche Betätigung gehörten zum Tagesprogramm.
Ueber Leistungen, Lob und Motivation lernten unsere Schützlinge mehr und mehr Durchhaltewillen und Selbstvertrauen aufzubauen.
Die gemeinsamen, reichhaltigen und regelmässigen Essen waren ein wichtiger Bestandteil unseres pädagogischen Settings. Eine gemütliche, positive Tischatmosphäre, mit vielen guten Gesprächen wurde gepflegt.
Im Freizeitbereich wurden die Klienten mit gestalterischen Aufgaben, Spiel und sinnvollen Hobbys zu positiven Erlebnissen, in Hinblick auf innere Zufrieden- und Ausgeglichenheit. Konsumangebote wie Ausgang, TV und Video traten in den Hintergrund.
So lernten unsere Jugendlichen sich an Spiele ohne Computer wieder zu freuen, die Natur, Tiere und das Wetter als vorhandene Güter zu schätzen und zu geniessen.
Die positive Arbeit mit den jungen Menschen wurde mit Ritualen unterstützt, wie z.B. vor dem Austritt aus der Krisenstation das Suchen und bemalen eines Steines, oder das Zurücklassen eines eigenen Werkes, in Form einer speziellen Arbeit. Schwitzhütte, Traumreisen und gruppendynamische Sitzungen gehörten zum Wochenablauf.
Die regelmässigen Tagesrückblicke mit möglichst positiven Rückmeldungen, und dem Anbringen von aufbauender Kritik lernte die Jugendlichen, sich besser zu Formulieren und Selbstwerte zu entwickeln.
Intensive regelmässige Einzelgespräche mit den jungen Menschen, zielorientiertes Arbeiten, in welchen Probleme offen benannt wurden, suchen von Lösungsansätzen waren an der Tagesordung. Es hatte viel Platz für Wut, Aggressionen, Trauer und Tränen. Schwierige
Lebenssituation konnte offen auf den Tisch kommen und aufgefangen werden.
Unser Ziel war es immer wieder den uns Anvertrauten, neuen Lebensmut und Freude zu vermitteln, und eine Situation zu erarbeiten das unsere Jugendlichen wieder neu in unseren Wohngruppen „Zuhause“, in der Schweiz integriert werden konnten.
Die Aufenthaltsdauer der jungen Menschen in unserer Krisenstation betrug sich zwischen zwei und sieben Monaten - also genügend Zeit um Boden unter den Füssen zu erhalten und sich zu festigen.
In den fast sieben Jahren betreuten wir mehr als 100 Jugendliche in Krisen. Die Erfolgsquote lag bei fast 85 %, was die Qualität dieser Aussenstation selbstredend unterstrich.
Die regelmässigen, wöchentlich Teamsitzung in der Schweiz, die klaren Arbeitsaufträge an das Betreuerteam, die Ueberprüfung von gesteckten Entwicklungszielen, konnten durch die intensive Zusammenarbeit mit der Schweizer Mutter-Institution erarbeitet werden und dienten als qualitätssichernde Massnahme.
Die Wiedereinführungen verliefen schrittweise. Mit punktuellen Aufenthalten im alten, gewohnten Umfeld, schnupperten die Jugendlichen am zu bewältigenden Alltag. Für sie, eine schrittweise, selbstgetriebene und sichere Annäherung, für uns eine gute Möglihchkeit, die Verhaltensweise des Klienten zu überprüfen und dessen Wiedereinstieg möglichst optimal zu gestalten.
St.Bresson war auch für Time-Outs anderer schweizer Institutionen offen, und beherbergte ca. 10 Jugendliche aus anderen Institutionen zur Krisenbewältigung.
Leider wurde diese erfolgreich arbeitende Kriseninterventions-Station Ende 2003 durch den Aufsichtskanton zur Schliessung gezwungen.
St.Bresson könne als Krisenstation im Ausland nicht finanziert werden, und die Kosten für diesen durch die Heimvereinbarung nicht anerkannte Nebenbetrieb seien zu hoch, war die Ausführung des Fachstellen-Leiters.

Wie wurde die Krisenstation finanziert? Was bezahlten die einweisenden Behörden?

Ueber den Lotteriefond und Darlehen verschiedener Heime konnte ein Haus in Frankreich erworben werden.
Da der Aufsichtskanton den Betrieb der Krisenstation anfangs nicht finanziell unterstützen wollte, entschied sich unser Verein die Krisenstation St. Bresson als Nebenbetrieb der CH-Institution zu führen, was vom Aufsichtskanton akzeptiert wurde. Es wurde eine eigene Buchhaltung geführt, welche alljährlich im Jahresbericht zugänglich war.
So begannen wir die Krisenstation mit ausserkantonalen Jugendlichen zu belegen. Das Interesse an der neuen Platzierungsmöglichkeit war gross. In den ersten zwei Jahren wurde mit einer personellen Besetzung von ca. 240 % und einem zusätzlichen Praktikanten gearbeitet. Die Auslastung war immer gut. Platzierungen durch den Aufsichtskanton wurden
kostenlos aufgenommen.
Nach zwei Jahren zeigte sich, dass um eine adequate Krisenbegleitung anzubieten, der Mitarbeiterstab auf 400 bis 480 % und einen zusätzlichen Praktikanten erhöht werden musste.
Der Aufsichtskanton wurde angefragt an die Krisenplatzierungen einen jährlichen Beitrag zu leisten. Wir durften wir im vierten Jahr Fr. 50`000.—und im fünften Jahr Fr. 125`000.—ins Internatsbudget der CH-Institution für Krisenplatzierungen einbauen.
Ueber Spezialplatzeirungen von Nicht Heimvereinbarung anerkannten Jugendlichen (über 18 jährige, oder IV-Fälle) und nicht gruppenfähige Jugendliche konnten die Mehrkosten von St. Bresson wettgemacht werden. Korrekterweise wurden für die Spezialplatzierungen in der Schweiz (4 junge Erwachsene) ein zusätzlicher Sozialpädagoge zu 80 %, finanziert durch den Nebenbetrieb angestellt. Dieser wurde dem Externatsteam in der Schweiz zugeteilt.
Mit Einführung des Leistungsvertrages 2002 bot der Aufsichtskanton Fr. 360`000.—pro Jahr für die Krisenplatzierung in St. Bresson an im Budget einzubauen.
Die Auflage war jedoch, dass direkte Platzierungen in Bresson durch andere Kantone nur noch für Fr. 500.—pro Tag erlaubt seien. Diese Auflage war unmöglich umsetzbar, da die Krisenstation nicht der Heimvereinbarung unterstand, und somit die jeweiligen Gemeinden den vollen Tagessatz bezahlen müsste.
Ebenso wurde uns auferlegt keine Spezialplatzierungen mehr im Nebenbetrieb aufzunehmen.
Mindereinnahmen durch diese Auflagen von mindestens Fr. 250`000.—pro Jahr führten dazu, dass die qualitativ hochstehende Kriseninterventions-Stelle den Betrieb einstellen musste.
Der im 2004 erstellte 17- seitige Untersuchungsbericht der Fachhochschule Freiburg unterstrich klar, dass die Krisenstation St. Bresson unbedingt im qualitativ hochstehenden Angebot der schweizerischen Insitutition enthalten bleiben sollte.
Die Schliessung wurde trotzdem vollzogen. Dies ist absolut unverständlich umsomehr, dass in den 7 Jahren des Betriebs von St. Bresson kein Einweiser für die Internatsplatzierungen in der CH noch für die Krisenplatzierungen mehr als Fr. 350.—pro Tag brutto bezahlen musste.
Nimmt man die ca. 100 Platzierungen der Betriebszeit von St. Bresson und vergleicht die
Tageskosten mit einer geschlossen Institution wird ersichtlich, dass für die Einweiser im Laufe der Jahre, über die Führung der Krisenstation, mindestens eine Million Minderkosten entstanden sind. Abschliessend sei bemerkt, dass der Aufsichtskanton bis Ende 2002 an die Kriseninterventionen (Total Einnahmen St. Bresson 1997 – 2002 , 4,8 Millionen Franken), sage und schreibe Fr. 620`000.—beisteuerte, was knapp 15 % der Gesamtkosten bedeutet.

Ich hoffe, dass die Idee von kontrollierten Kriseninterventionen im nahen Ausland, wie in St. Bresson, wieder neu diskuktiert werden wird und dass ähnliche Projekte durch die Kantone unterstützt werden..

Würde dies eintreffen hätte sich meine Pionierarbeit trotzdem gelohnt.

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